Biografien in der Physikgeschichte - Workshop im Physikzentrum

Biographies in the History of Physics: Actors, Institutions, and Objects so lautete der Titel des Workshops, den ich gemeinsam mit Dieter Hoffmann und Mark Walker organisierte. Vom 22. bis 25. Mai 2018 trafen sich im Physikzentrum der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Bad Honnef 32 Physikhistorikerinnen und Physikhistoriker, um über das Genre der Biografien in der Physikgeschichte zur diskutieren. Der Workshop hatte zum einen das Ziel, Early Career Scholars mit etablierten Wissenschaftlerinnnen und Wissenschaftlern in Kontakt zu bringen. Zum anderen wollten wir mit dem Thema „Biografien in der Physikgeschichte“ einen Schwerpunkt zu diskutieren, der eine Verbindung zwischen der Objektdisziplin Physik und uns Historikern herstellt. Das Ergebnis sei hier schon vorweggenommen: Der Workshop war ein voller Erfolg.

 

Insgesamt standen 14 Juniors 18 Seniors gegenüber, der Frauenanteil betrug bei den Juniors 43%. Das Niveau der Vorträge war hoch. Einheiten von etwas drei bis vier Vorträgen wurden schließlich in einem Kommentar zusammengefasst und weiterentwickelt. Dazu hatten die Teilnehmer bereits vier Wochen vor Beginn der Tagung ihre verschriftlichten Beiträge bei den Kommentatoren und Organisatoren eingereicht.

 

Der Workshop war thematisch in drei Teilbereiche untergliedert: Biografien von Personen, sowie Biografien von Institutionen und Objekten. Die Biografie menschlicher Akteure ist ein klassisches Genre der Physikgeschichte. War sie in den 1960er bis 1980er Jahren als unkritische Heiligenerzählung verbrämt, so erlebte sie in neuer Form Ende der 1980er einen Aufschwung. Die Biografie erlaubt es in einem Erzählstrang verschiedene Narrative zur vereinen: Dies umfasst die Ideengeschichte wissenschaftlicher Theorien, das private Leben des Wissenschaftlers, sein institutionelles Umfeld, den politischen Kontext der Zeit, seine Rolle in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und Gesellschaft. Die Vielschichtigkeit einer modernen Biografie schließt bei konsequenter Umsetzung die Überhöhung eines Individuums aus. In diesem ersten Themenbereich wurden klassische und kritische Biografien bekannter Physiker präsentiert, ebenso wie Biografien nur wenig bekannter Physikerinnen um die Jahrhundertwende. Gleichzeitig kam es zu einer kritischen Reflexion des Genres, der Bio-graphie, des Leben-Schreibens. Ist es möglich dieses Genre auf unbelebte Dinge und Konzepte auszudehnen? Was gewinnen wir durch den Einsatz der Biografie als Metapher? Können Dinge als Akteure betrachtet werden? Verfügen sie über eine Agency, also Handlungsfähigkeit? Kommunizieren sie? Diese Fragen sollten in den nächsten Blöcken der Tagung für kontroverse Diskussionen sorgen.

 

Im Bereich der Institutionen wurde dies am kritischsten gesehen. Sind Institution mehr als die darin tätigen Individuen? Umfasst damit die Biografie einer Institution mehr als die Biografien der Individuen? Die Antwort lautet ja, sobald ein Wissensbestand existiert, der an die Institution gebunden ist und nicht mehr an die Individuen. So versuchen große internationale Organisationen im Rahmen ihres Wissensmanagements Wissen zu ‚entpersonalisieren‘ und der Organisation als Ganzes zur Verfügung zu stellen. Auch methodisch lässt sich aus der Vielschichtigkeit der biographischen Erzählung für Institutionen lernen: Sie bestehen aus mehreren Ebenen: Wissenschaft, Verwaltung, Werkstätten etc., sind im Laufe ihres „Lebenszyklus“ eingebettet in wechselnde politische Systeme, reagieren auf ihre Umwelt und kommunizieren über Architektur und Einrichtung.

 

Im Bereich der Objektforschung mit wissenschaftlichen Instrumenten sind sogenannte Objektbiografien fest etablierte methodische Zugänge. Wissenschaftliche Instrumente wandeln im Laufe ihres Lebenszyklus häufig ihren Charakter bzw. verfügen sie über mehrere Leben: Als Forschungsinstrument, Lehrinstrument und schließlich als Museumsobjekt. Auf einer jeden ebene „kommuniziert“ das Objekt anders mit seiner Umwelt und weißt andere Deutungskontexte auf.

 

Letztlich ist die Biografie als methodische Metapher eine Hilfe die Vielschichtigkeit unterschiedlicher Forschungsgegenstände – auch nicht menschlicher- in ein Narrativ einzubinden. Dabei ist die Metapher nicht um ihrer Selbstwillen auf die Spitze zu treiben, sondern muss sich an ihrer Erklärungsmächtigkeit orientieren. Aufgrund der hohen Qualität der Beiträge ist die Herausgabe eines Sammelbandes geplant. Der Springerverlag (Heidelberg) hat bereits Interesse geäußert.

 

Als Bonbon des Workshops präsentierten sich zentrale Archive (Nobel Archives, American Institute of Physics, Deutsche Physikalische Gesellschaft, Niels Bohr Archives, Deutsches Museum München) in einer abendlichen Round Table Diskussion. Auch diese locker informative Runde wurde wohlwollend aufgenommen. Neben den Sachinformationen, z.B. zum jeweiligen Sammlungsprofil, wurden von den Juniors die verschiedenen Fördermöglichkeiten der Archive für Forschungsaufenthalte interessiert zu Kenntnis genommen.

 

Zu dem Erfolg des Workshops hat der Tagungsort, das Physikzentrum Bad Honnef, wesentlich beigetragen. Über die reine Tagungszeit hinaus, wurden hier Kontakte geknüpft, Diskussionen geführt, gemeinsame Projekte entwickelt. Für den reibungslosen Ablauf sei den Mitarbeitern des PBH herzlichst gedankt. Möglich wurde der Workshop erst durch eine gemeinsame Finanzierung durch die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung. Auch hier sei für die Unterstützung herzlichst gedankt!

 

Die Ergebnisse des Workshops werden im Springer Verlag, Heidelberg, publiziert. Bis zum Erscheinen bitte noch etwas Geduld oder ein Blick auf die Webseiten des Fachverbandes Geschichte der Physik der DPG für mehr Informationen.